4000 Jahre Essig-Geschichte in Kurzfassung
Ob das französische Wort Vinaigre, das englische Vinegar oder das spanische Vinagre – sie alle bedeuten „saurer Wein“, und dieser war das Ergebnis einer spontanen und zufälligen Vergärung. Doch guter Essig ist heute kein Zufall mehr. Er ist das Ergebnis jahrtausendealter Tradition, Erfahrung und Wissenschaft und gehört, wie Wein und Olivenöl, zu den kulinarischen Errungenschaften der Menschheit.
Ob Ägypter, Inder, Perser oder Chinesen – alle kannten Essig als Würz- und Konservierungsmittel. Schon vor über 4000 Jahren wurde in Mesopotamien Bieressig hergestellt, und auch die Nordmänner experimentierten bereits mit einer Art Apfelessig. In der Bibel finden sich ebenfalls Hinweise auf eine frühe Form des Essigs, allerdings als Heilmittel, denn im 4. Buch Mose 6,3 steht: „Man soll keinen vergorenen Wein (also Essig) trinken“. So reichte ein römischer Legionär dem gekreuzigten Jesus Essigwasser, um die Schmerzen seiner Wunden zu lindern. Die erfrischende, wohltuende oder heilende Wirkung war also lange bekannt und blieb bis ins frühe 20. Jahrhundert ein günstiges Mittel zur Durstlöschung (Stichwort Shrubs) und Energiegewinnung.
Heute ist Essig vor allem ein Genussmittel, das wir meist mit Salat in Verbindung bringen. Doch Essig ist heute wie damals vielseitig, kreativ, erfrischend und geschmacksentscheidend. Er schmeckt in Getränken und Cocktails, ist essenziell für Eingelegtes, Eingemachtes und Vinaigrettes, wertet Soßen auf, verfeinert Vor- und Hauptspeisen und ist sogar sensationell in Desserts. Doch bis hierher vergingen einige Jahrtausende.
Essig in der Antike und im Mittelalter
Die Völker der Antike entdeckten Essig als vielseitigen Helfer: Seine kühlenden und desinfizierenden Eigenschaften kamen bei Insektenstichen, Schlangenbissen, Fieber und zur Wundpflege zum Einsatz.
Im römischen Kaiserreich diente Essig nicht nur zur Konservierung von Fleisch, Fisch und Gemüse oder zum Reinigen von Gefäßen. Man entdeckte auch, dass sich der Geschmack von Speisen verbessern ließ, denn ein weinähnliches Aroma blieb im Essig erhalten. Auch im alten Judentum gibt es Hinweise darauf, dass Kräuter aus geschmacklichen Gründen eingelegt wurden.
Im Mittelalter begann um das 14. Jahrhundert herum ein reges Essiggeschäft, und die Essigherstellung wurde zu einem eigenständigen Handwerk. Es wurde mehr und mehr experimentiert, und so konnte man bereits im Mittelalter Essige kaufen, die mit Nelken, Himbeeren oder Trüffeln verfeinert waren.
Zu Beginn der Neuzeit wurde Essig in Frankreich immer mehr ein Element der feinen Küche. Es geschah immer wieder, dass Winzern der Wein während der langen Reise nach Paris umkippte und zu Essig gärte. Doch inzwischen musste der umgekippte Wein nicht mehr vergossen werden, denn es hatte sich eine Abnehmerschaft dafür gefunden: die sogenannten Essighändler. Die „Vinaigries“ bildeten im französischen Orléans Zünfte und hüteten streng ihre Geheimnisse zur Essigherstellung. Das angewendete Verfahren der Handwerkszünfte war von hoher Qualität gekrönt, denn bis heute werden viele Essige nach dem sogenannten „Orléans-Verfahren“ hergestellt.
Die wissenschaftliche Entdeckung des Gärungsprozesses
Jahrhundertelang blieb die genaue Natur des Gärungsprozesses ein Geheimnis. Die Alchemisten des Mittelalters versuchten vergeblich, die Gärung zu erklären. Erst im 19. Jahrhundert gelang es Forschern wie dem französischen Chemiker Louis Pasteur, den Mechanismus hinter der Essiggärung zu entschlüsseln. Pasteur entdeckte, dass es sich um einen biologischen Vorgang handelt: Essigbakterien der Gattung Acetobacter setzen sich auf der Oberfläche einer alkoholhaltigen Flüssigkeit ab und verwandeln den Alkohol in Essigsäure. Diese Erkenntnis legte den Grundstein für kontrollierte Essigproduktionen und machte es möglich, die Fermentation gezielt zu steuern.
Essig als Gesundheitsmittel
Die gesunden Eigenschaften des Essigs, die lange in Vergessenheit geraten waren, wurden erst durch moderne Forschungen wiederentdeckt. Man stellte fest, dass Essig nicht nur konservierende, sondern auch desinfizierende und heilende Effekte hat. Entgegen alten Gerüchten, die Essig eine negative Wirkung auf das Blut zuschrieben, gilt heute: Essig kann das Wohlbefinden fördern. Im menschlichen Stoffwechsel wird Essigsäure natürlich gebildet, und Essig fördert die Bildung von Verdauungsenzymen, unterstützt die Aufnahme von Vitaminen und Mineralien und kann den Stoffwechsel anregen. Ein täglicher Essigtrunk kann die Lust auf Süßes mindern und die Gewichtsabnahme fördern – wenn auch nicht als Wundermittel, sondern als natürliche Ergänzung zur Ernährung.
Essig hat über Jahrtausende nichts an seiner Bedeutung verloren und ist bis heute ein wertvolles Würz- und Heilmittel geblieben. Von den antiken Kulturen bis hin zu modernen Essigliebhabern steht Essig für Geschmack, Gesundheit und die Verbindung zu den Ursprüngen der Natur.